* 26. November 1821 in Neuss
† 2. April 1897 in San Remo
Das folgende Audio ist gesprochen von Pfarrer Dr. Michael Grütering und Thomas Friebe (Breuer-Zitate). Musik mit freundlicher Genehmigung von Spotlight-Musical.de aus „Kolpings Traum“, Lied Nr. 16 „Vergesst nicht, wer Ihr seid“, Musik: D. Martin, Text: D. Martin und Ch. Jilo.
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Zu jeder Zeit gab und gibt es Menschen, die ihrer Zeit voraus sind. Sie durchbrechen bestehende Konventionen und folgen ihrem Gewissen, handeln wo andere weggucken.
Oft ecken sie in etablierten Kreisen mit ihrem Handeln an und ernten gar Spott. Während ihr Handeln vielen Menschen und gar folgenden Generationen zum Vorteil und Nutzen reicht. Johann Gregor Breuer ist solch ein Mensch. Bis heute hinterlässt sein Wirken zahlreiche Spuren in Wuppertal – und darüber hinaus. Aus einigen sind Wege geworden, die uns heute selbstverständlich erscheinen.
„In Elberfeld hat man mich mit Bezug auf die dort von mir gestifteten Vereine ironisch den „Generalgründer“ genannt. Nun, was ein guter Haken werden will, krümmt sich bei Zeiten. So habe auch ich mich frühzeitig gekrümmt und bin ein „Strick“, ich wollte sagen ein Haken, geworden, an den sich gar mancher auf- und angehängt, hoffentlich nicht zu seinem Schaden.“
Johann Gregor Breuer
Breuer wurde als Jugendlicher Waise. Er kam bei seinem älteren Bruder unter. Damit erging es ihm viel besser als anderen Waisen in vergleichbarer Situation. Ihnen galt sein Mitgefühl. Mit sechzehn Jahren gründete er den „Arme-Knaben-Verein“. Er wusste um die Anstrengungen, ohne Förderer von Stand und Familie zurechtkommen zu müssen als junger Mensch. Aus eigenem Antrieb brachte es Breuer bis zum Oberlehrer.
In Fortführung der Grundidee, jungen Menschen Hilfe, Halt und die Wärme der Gemeinschaft zu geben, initiierte er als Lehrer den Gesellenverein. Kaplan Adolph Kolping war zweiter Präses des Vereins. Er war es dann, der diese Idee bundesweit weitertrug. Sie fand später weltweit unter dem Namen „Kolpingwerk“ Verbreitung.
Bei der Vorbereitung der Initiative war Breuer sich im Klaren über die zu erwartenden Widerstände: seitens der Kirche – der Priester -, des Staats – der Lehrerschaft, aber auch seitens der schulmüden jungen Leute. Unter der Begrifflichkeit „Verein“ tarnte er seine Absicht: die Vermittlung ganzheitlicher Bildung: „Nicht auf den Kopf gefallen zu sein“ als Rüstzeug für die harten Arbeitsbedingungen des Handwerks, aber auch emotionale Zuflucht und Werteorientierung für die jungen und oft haltlosen Wandergesellen. Er nimmt auch die Kosten in den Blick und schlägt vor, dass reiche und gut bemittelte Bürger eine Ehrenmitgliedschaft bekommen sollen. Vorausschauend gründete er 1846 den Gesellenverein – in der Struktur eines Vereines, und nicht wie es damals nahe lag, als kirchliche Bruderschaft oder Bildungseinrichtung.
Ein umtriebiger Mensch wie Breuer macht sich nicht nur Freunde. Denn er zwingt die anderen, die alles so lassen möchten wie es ist, aus der Ruhe – insbesondere die Amts- und Würdenträger, die auf ihren Rechten und Privilegien beharren. Breuer setzte sich über Konventionen und Standesgrenzen hinweg, wenn es um soziale Missstände ging, die ihm ins Auge fielen. So auch bei der Gründung des von ihm initiierten Mädchenvereins im Jahr 1845. Mädchen wurden damals, ob sie wollten oder nicht, mit zwölf Jahren aus der Schule entlassen. Als Oberlehrer an der Mädchenschule Hombüchel sah Breuer, wie brutal das für die Mädchen war: so jung auf sich gestellt zu sein, ohne Möglichkeiten zu weiterer Bildung, unbegleitet auf dem Weg zum Erwachsenwerden – auf dem sie deshalb oft strauchelten.
„Hiernach scheint der Mädchenverein eigentlich nur ein Gesangschor gewesen zu sein, wofür er auch in der ersten Zeit tatsächlich gehalten wurde. Aber in Wirklichkeit verfolgte er einen weit höheren Zweck, dem der Gesang nur als Nebensache, als Mittel und quasi Lockvogel diente - und zwar die Mädchen in den gefährlichen Jahren der Jugend zu leiten, ihnen zur Vorbereitung auf ihren Beruf freundliche Handleitung zu geben und sie zu befähigen, ihre Lebensaufgabe zu erfüllen.“
Johann Gregor Breuer
So kommentierte er seine Strategie, Mädchen und Frauen Möglichkeiten zu weiterer Bildung, des Austausches und der Geselligkeit zu eröffnen. Es war für Mädchen und Frauen in dieser Zeit kaum möglich, einfach rauszugehen oder sich treffen und versammeln zu können. Anstatt Anerkennung, erntete er Spott: „Lächerlich, dass er jetzt auch noch das Frauenvolk zusammentrommeln will“, urteilte beispielweise Kaplan Adolph Kolping. Das ließ Breuer unbeirrt oder mehr noch, bestärkte ihn in der sozialen Notwendigkeit seines Engagements. So toppte er die Entrüstung mit der Gründung eines weiteren „Jungfrauenvereins“ im Jahr 1847 und dem Gesangsverein Cäcilia im Jahr 1850.
Vergegenwärtigen wir uns den Alltag, den Lebensweg eines jungen Mädchens seinerzeit: Mit zwölf aus der Schule raus und rein in einen Haushaltsbetrieb als Magd. Egal wie schlecht die Arbeitsbedingungen und wie groß die Zumutungen der jeweiligen Stelle auch sein mochten, Rechte hatten die Mädchen nicht. Den Arbeitsplatz zu verlieren oder ein schlechtes Zeugnis zu bekommen, war eine Schande. Wie viele Hausherren ihre Machtposition missbrauchten, ist ungewiss. Offenkundig wurde dies nur, wenn die Mädchen schwanger wurden. Und auch dann wollte es keiner gewesen sein. Die jungen Frauen waren auf sich allein gestellt.
1867 gründete Breuer den Frauen- und Mütterverein und schloss damit auf in eine weitere gesellschaftliche Tabuzone. Der Verein initiierte die Einrichtung eines Hauses für schwangere Mädchen und eines Waisenhauses. Es sind die Wurzeln des heutigen Kinderhauses St. Michael, in der Uellendahlerstraße. Die Frauen fanden in dem Haus einen Zufluchtsort, wo sie ihre Kinder zur Welt bringen konnten. Sie ließen ihre Kinder im Waisenhaus zurück, um wieder in einem anderen Haushaltsbetrieb Arbeit aufzunehmen oder in den vorigen „Verursacher-Haushalt“ zurückgeschickt zu werden.
Haus und Waisenhaus lagen außerhalb, am Rande der Stadt, damit kein Mann genötigt war, versehentlich seinem Kind zu begegnen – peinlich auch im Falle großer Ähnlichkeiten.
Für seine zahlreichen sozialen Engagements suchte und fand er Verbündete über Standesgrenzen hinaus und machte sich damit nicht nur Freunde. Er war ein unbequemer Zeitgenosse mit gesellschaftlichem Weitblick, Mut zu neuem Denken und Handeln, wo es sozial richtig ist.
Breuer engagierte sich sein Leben lang in der Wuppertaler Sozialarbeit. Was diese damals von anderen unterschied: Für eine überschaubare Anzahl von Personen gab es jeweils einen „Armenpfleger“. Das ist vergleichbar mit der heutigen Betreuer-Praxis, war jedoch damals ganz neu. Es brache Privilegierte und Arme in direkten Kontakt. Die „Armenpfleger“ arbeiteten ehrenamtlich. Diese Praxis wurde bekannt als „Elberfelder System“ und wurde von vielen Städten übernommen. Aber das ist eine weitere Wuppertaler Geschichte. Was der „Generalgründer“ alles auf die Beine gestellt hat, ist im Folgenden nachzulesen.
Breuer nutze die befreiende und verbindende Kraft der Musik. Für seine jungen Gesellen stellte er ein Liederbuch zusammen. Mit der Gründung der weiblichen Gesangsvereine eröffnete er auch Mädchen und Frauen neue Möglichkeiten. Daher sei ihm folgendes Lied gewidmet – auch, oder gerade weil es dem Kolping-Musical entnommen ist.
Doch sollte nicht in Vergessenheit geraten, wer diese Idee geboren hat.
1837 gründet er als 16jähriger noch in Neu-Honrath mit Gleichgesinnten den Arme-Knaben-Verein. Sie sammeln bei Begüterten Lebensmittel und Geld und vermitteln das zu den Bedürftigen.
1841 schafft er mit zwei Freunden die Satzung eines Arme-Kranken-Vereins. Es geht darum, Kranken und Sterbenden mit leiblicher und seelischer Not beizustehen. Diese Idee ist vergleichbar dem Wirken von Frédéric Ozanam, der 1833 in Paris einen solchen Hilfeverein gründete und ihn unter das Patronat des heiligen Vinzenz von Paul, den Vater der modernen Caritas, gestellt hat. Innerhalb einer Pfarrei wurde der Blick nicht nur auf die Bedürftigen gerichtet, sondern der Not auch Abhilfe geschaffen. Die Vinzenzkonferenzen gelten heute als die weltweit größte caritative Leistung.
1845 erfolgt die Gründung der Gesellschaft Parlament. Es sollte eine Möglichkeit für das gesellige Beisammensein geben, wo religiöse und bürgerlich-soziale Angelegenheiten diskutiert werden konnten. Diesem Beispiel folgten Gründungen auch an anderen Orten.
1845 schreibt Breuer in die Satzung des Mädchenvereins: „... die Mädchen in den gefährlichen Jahren der Jugend zu leiten, ihnen zur Vorbereitung auf ihren Beruf freundliche Handleitung zu geben und sie zu befähigen, ihre Lebensaufgabe zu erfüllen.“
1846 ist das Jahr der Gründung des Gesellenvereins. Es war nicht die Abenteuerlust, die die jungen Gesellen auf „die Walz“ trieb, es war die Suche nach Arbeit und Lohn. Sicher, es war auch um die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. An genau diesem Punkt setzt Breuers Gedanken an: Weiterbildung und Geselligkeit im Kreis Gleichgesinnter. Der zweite Präses des Gesellenvereins, Adolph Kolping, hat die Idee deutschlandweit bekannt gemacht. So entwickelte sich aus der Überlegung Breuers das heute weltweit wirkende Kolpingwerk.
1847 wendet Breuer sich dem Schicksal der nach Elberfeld und Barmen zuwandernden katholischen Dienstmädchen zu. Mit dem Jungfrauenverein bringt er den Menschen in der Pfarrei das Los der Neubürgerinnen ins Bewusstsein. Der Verein unterhält eine Strick- und Nähschule mit Lehrerinnen. Ganz praktisch wurde den jungen Frauen Wissen für ihr Leben vermittelt. In den folgenden Jahren ist dann der Handarbeitsunterricht in allen Elementarschulen Preußens obligatorisch eingeführt worden.
1850 gründete er einen zweiten Chor, den Kirchengesangsverein Cäcilia. Unter Breuers Leitung gab dieser Chor etliche Konzerte. Der erzielte Erlös wurde zur Finanzierung der Inneneinrichtung der St. Laurentiuskirche genutzt.
1851 erscheint im Auftrag des Rheinischen Gesellenbundes Breuers Gesellenliederbuch. Das Liederbuch erreicht 10 Auflagen. Den Erlös aus diesem Liederbuch nutzt Breuer zur Tilgung der Bauschulden am Elberfelder Gesellenhaus.
1856 war er der erste, der den Bau eines katholischen Krankenhauses anregte. Ihm gelang es auch, die Borromäerinnen aus Trier für eine Neugründung zur Krankenpflege in Elberfeld zu gewinnen. Die erleuchteten Fenster der Kapelle zu Ehren des hl. Joseph waren vom Tal aus zu sehen. So kam das Kapellchen zu seinem Kosenamen.
1866 wird der Spar- und Darlehnsverein zu hl. Joseph errichtet. Diese Bank auf Gegenseitigkeit scheint die erste Einrichtung dieser Art gewesen zu sein. Erst 1872 gibt es den Spar- und Vorschussverein innerhalb der preußischen Post. Sogar erst 1905 erfolgt die Gründung der Pax-Bank.
1867 schließt Breuer mit dem Frauen- und Mütterverein seinen Einsatz für die Frauen ab. Um 1890 hatte die Brüderschaft christlicher Mütter in ganz Deutschland rund 1000 Mitglieder. Dazu war Breuer auch in Kontakt mit Bischof von Ketteler in Mainz getreten, der für seinen sozialen Einsatz bekannt war. Ebenso nutzte er die damalige Bekanntheit der Schriftstellerin Ida Gräfin Hahn für seine Gründung.
1868 kamen in Aachen die Christlich-sozialen Blätter heraus. Breuer war ein herausragendes Mitglied im Freundeskreis um diese Zeitschrift. Bei einer Versammlung der Freunde in Krefeld wurde Breuer einstimmig zum Vorsitzenden gewählt. Er beantragte die Zeitschrift mit einem Untertitel: Organ der christlich-sozialen Partei zu versehen. Vermutlich diente das politischen Absichten.
1869 auf der Generalversammlung der katholischen Vereine Deutschlands (das war der Vorläufer der heutigen Katholikentage) in Düsseldorf brachte Breuer mit seinen Freunden den Gedanken ein, dass allerorten Kreditvereine gegründet werden sollten. Sie versprachen sich damit eine Verbesserung der Situation der Handwerker.
1870 tagte in Elberfeld die Generalversammlung der Christlich-sozialen Vereine. Breuer wurde ihr Schriftführer und er wurde in das Komitee zur Gründung christlicher Arbeitervereine gewählt. Generalpräses Schäffer – Nachfolger Adolph Kolpings in dieser Funktion – nannte den Elberfelder Gesellenverein den ältesten christlich-sozialen Verein Deutschlands.
1871 wählte die Generalversammlung der Katholischen Vereine Breuer zum zweiten Vorsitzenden der Sektion für soziale Fragen. Einer seiner Anträge forderte: Gesunde Wohnungen für Arbeiter – eine Arbeitsbeschränkung auf 10 Stunden am Tag – das Verbot von weiblichen Arbeitern in den Fabriken – die Aufhebung des Schulgeldes – und die Gründung von Fortbildungsvereinen für Jungen und Mädchen.
1885 gelang Breuer zusammen mit dem Kaplan von St. Laurentius, Michael Heyden, und dem Frauen- und Mütterverein die Eröffnung des Katholischen Erziehungshauses an der Mirke. Das ist der Beginn des heute noch tätigen Kinderhauses St. Michael in der Uellendahlerstraße.
Von der Gemeinde St. Laurentius aus sind als Tochtergemeinden Herz Jesu, St. Marien (gleichzeitig am 1. November 1884 Grundsteinlegung), St. Suitbertus (die Gründung des Kirchbauvereins erfolgt auch im Jahr 1884) und St. Joseph (Grundsteinlegung 1909) entstanden. In Breuers Memoiren finden sich manche Anmerkungen zu den tumultartigen Vorgängen um die Neugründungen und mancher Hinweis auf die Begrenztheit der Entscheidungsträger.
Zusätzlich zum Kirchbau von St. Suitbertus setzte Breuer sich dafür ein, dass die Aachener Franziskanerinnen eine Niederlassung in der Südstadt machen sollten. Das hätte die Betreuung von Kranken und Familien möglich gemacht. Dieser Plan einer Ordensniederlassung fand allerdings bei der kirchlichen Obrigkeit kein Gefallen.
Unter der künstlerischen Leitung von Breuer entfaltete die Laurentiusprozession eine Anziehung über die Gemeinde hinaus. Selbst Andersgläubige beteiligten sich an der eucharistischen Prozession durch die Straßen der Stadt. Diese Tradition wird bis heute in der gemeinsamen Fronleichnamsprozession bewahrt.
Das Elberfelder System wurde 1853 in Elberfeld eingeführt. Grund dazu war, dass die zentrale städtische Armenpflege zu teuer geworden war. Deshalb wurde dezentralisiert und in kleineren Bereichen ehrenamtliche Armenpfleger eingesetzt. Breuer hat diese Arbeit 35 Jahre zusätzlich geleistet.
Breuer erkannte den Wert einer christlichen Presse. So entstand das Wuppertaler Kirchenblatt für Katholiken. Auch an den später herausgegebenen Wuppertaler Volksblättern war er beteiligt.
Die Zeitung Maria und Martha war in allen Einzelheiten vorbereitet. In Elberfeld scheiterte das Unternehmen am Einspruch der pfarrlichen Geistlichkeit. Umgesetzt hat den Gedanken dann Ludwig Auer in Donauwörth. Auer hatte einen ähnlichen Bildungsweg wie Breuer zurückgelegt. Auer hat in seiner Stiftung Cassianeum eine Einrichtung mit stark paternalistischen Zügen geschaffen. Sein Enkel wurde als Leiter der Schule des Missbrauchs an den Kindern schuldig.
1946 hundert Jahre nach der Gründung des Gesellenvereins schrieb die Aachener Kirchenzeitung: „Drei Männer stehen an der Wiege des Gesellenvereins, davon jeder ein charakteristischer Vertreter seines Standes ist, und diese drei mussten sich finden, um das Werk zustande zu bringen: der Schreinermeister Joseph Thiel, der Lehrer Johann Gregor Breuer und der Priester Adolph Kolping.“
1966 wurde am Elberfelder Kolpinghaus neben der St. Laurentiuskirche eine Gedenkplakette für Breuer angebracht. Sie zeigt im Hintergrund die Kirchen Herz Jesu und St. Suitbertus, für deren Erbauung sich Breuer so engagiert hatte.
Die handschriftliche Biografie Breuers wird unter dem Sigl NDS 281-13 im Archiv der Stadt Wuppertal aufbewahrt. Im Druck ist sie erschienen als Johann Gregor Breuer, Was für Jahre! Lebenserinnerungen, hrsg. von Klaus Goebel, Verlag der Dortmunder Gesellschaft für Schulgeschichte, Dortmund 1995